Bis vor wenigen Jahren galt das Vorhaben, das Altern aufzuhalten und umzukehren nicht als "richtige Wissenschaft", vielmehr wurde es als unvermeidlicher und dauerhafter Bestandteil des menschlichen Daseins betrachtet. Es handelte sich nicht um eine Krankheit, sondern um eine Anfälligkeit für Krankheiten, die mit der Zeit zunimmt und nicht rückgängig gemacht werden kann. Menschen, die das Gegenteil behaupteten, wurden von der medizinischen Fachwelt bestenfalls als unterhaltsame Außenseiter, schlimmstenfalls als anrüchige Scharlatane betrachtet.

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Der Argwohn ist noch nicht ganz verschwunden, aber es wird zunehmend in die Bekämpfung des Alterns selbst investiert und nicht nur in die Krankheiten, die mit dem Alter auftreten – wie Krebs, Herzinfarkt und Alzheimer. So wurde z.B. (nach jahrelangen Bemühungen) die Finanzierung und Genehmigung für die TAME-Studie (Targeting Aging with Metformin) erreicht (Metformin ist ein Medikament, das vor 60 Jahren zur Behandlung von Diabetes zugelassen wurde).

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Das Projekt ist eine sechsjährige, landesweite Reihe von klinischen Studien an 14 führenden Forschungseinrichtungen in den USA, an denen über 3.000 Personen im Alter von 65 bis 79 Jahren teilnehmen. Unter der Leitung von Dr. Nir Barzilai wird in diesen Studien untersucht, ob bei denjenigen, die Metformin einnehmen, die Entwicklung oder das Fortschreiten altersbedingter chronischer Krankheiten - wie Herzerkrankungen, Krebs und Demenz - verzögert wird. Es wird nicht erwartet, dass die Auswirkungen auf das Altern massiv sind, aber das Medikament ist als sicher bekannt und das Projekt ist zumindest teilweise eine Übung, um die medizinische und wissenschaftliche Fachwelt insgesamt davon zu überzeugen, das Altern selbst ernster zu nehmen.

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KI und Alterungsuhren

Ein Grund für den Wandel in der Einstellung zum Altern ist die Anwendung moderner Techniken der künstlichen Intelligenz im Gesundheitswesen, insbesondere der tiefen neuronalen Netze und des sogenannten Reinforcement Learning (bestärkendes Lernen). Neuronale Netze sind Algorithmen, die Daten schichtweise verarbeiten, wobei jede Schicht Daten aus der vorherigen Schicht als Eingabe erhält und eine Ausgabe an die nächste Schicht weitergibt. Die Ausgaben sind nicht unbedingt binär (nur ein oder aus), sondern können bewertet werden. Algorithmen des Reinforcement Learning passen ihre Vorgehensweise entsprechend dem Feedback aus ihrer Umgebung an.

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Einer der Beiträge der KI zur Anti-Aging-Wissenschaft ist die Entwicklung von sogenannten Alterungsuhren (aging clocks). Diese „Uhren“ helfen beim Erforschen der Ursachen des Alterns und wie man dagegen vorgehen kann. 2013 überzeugte Professor Steve Horvath von der University of California in Los Angeles eine skeptische Welt davon, dass Biomarker an 353 Stellen des DNA-Strangs das Alter einer Person genau "vorhersagen" (schätzen) können. Die kausalen Zusammenhänge zwischen den Indikatoren und dem Alter einer Person sind noch nicht klar, aber der führende KI-Gesundheitsforscher Alex Zhavoronkov meint, dass eine KI, die für die Altersvorhersage auf bestimmte Arten von biologischen Daten trainiert wird, die Biologie lernt. Die Hoffnung ist, dass diese KI uns mit der Zeit helfen wird, besser zu verstehen, wie das Altern funktioniert.

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Was ist Alterung?

Es gibt keinen festen Konsens über die Natur des Alterns, aber man kann es als die kumulativen Auswirkungen unseres Stoffwechsels auf unseren Körper beschreiben. Der Stoffwechsel ist der Prozess, bei dem die Nahrung in Energie und in die von uns benötigten Materialien wie Proteine und andere Moleküle umgewandelt wird. Er ist auch der Prozess, bei dem verschiedene Arten von Abfallstoffen ausgeschieden werden.

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Die durch den Stoffwechsel verursachten Schäden an unserem Körper müssen in einem viel kleineren Rahmen, nämlich auf zellulärer Ebene, angegangen werden. Allgemein haben sich unter Wissenschaftlern auf dem Gebiet des Alterns neun Kennzeichen im Zusammenhang mit dem Alterungsprozess etabliert, wobei die meisten miteinander verbunden sind. Manche Zellen werden steif, andere verkümmern; manche vermehren sich, wenn sie es nicht sollten, und andere hören auf, sich zu vermehren, wenn sie es sollten. Einige leiden unter Mutationen in den winzigen Batterien in ihren Kernen (den Mitochondrien); andere werden mit Müll vollgestopft, sowohl im Inneren als auch in den Zwischenräumen. De Grey argumentiert, dass wir seit langem die Grundzüge der Behebung all dieser Arten von Schäden kennen, aber der Teufel steckt im Detail, und dieses Detail ist ungeheuer komplex. Bei der Entschlüsselung dieser Komplexität kann die KI helfen.

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Der bekannteste Pionier auf dem Gebiet des Anti-Aging ist der britische Wissenschaftler und Gründer der SENS Research Foundation, Aubrey de Grey. De Grey begann seine Karriere im Bereich der künstlichen Intelligenz, bevor er beschloss, dass die Bekämpfung des Alterns noch wichtiger ist als die Nutzung der KI. Seit langem vertritt er die Idee, dass es der Medizin bald möglich sein wird, uns allen mit jedem gelebten Jahr ein zusätzliches Lebensjahr zu schenken, so dass die meisten von uns tatsächlich aufhören würden, älter zu werden. Er nennt das "Longevity Escape Velocity" (Langlebigkeitsfluchtgeschwindigkeit), und angesichts des sich abzeichnenden Bewusstseinswandels geht er davon aus, dass es eine 50 %ige Chance gibt, dieses Ziel bis 2035 zu erreichen.

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Lebenserwartung und Gesundheitsspanne

Andere meinen, dass das wichtigste Ziel nicht die Verlängerung der Lebensspanne sein soll, sondern die Verlängerung der Gesundheitsspanne, d.h. der Zeit, in der wir ohne Krankheit leben. Sie weisen darauf hin, dass die Senkung der Sterblichkeitsrate vor allem im letzten halben Jahrhundert die finanzielle Belastung der Industrieländer dramatisch erhöht hat, da sich die Lebensspanne verlängert hat, ohne dass sich die Gesundheitsspanne entsprechend erhöht hätte.

In Wahrheit unterstützen sich diese Ziele gegenseitig und schließen sich nicht aus. Eine Verlängerung der Gesundheitsspanne ohne Verlängerung der Lebensspanne bedeutet, dass die eigentliche Ursache der Krankheiten des Alterns, nämlich das Altern selbst, nicht angegangen wird.

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KI-Agenten

Forscher nutzen zunehmend künstliche Intelligenz, um neue Medikamente zu identifizieren und zu entwickeln. Und in ferner Zukunft wird es personalisierte KI-Agenten geben, die die Eigenheiten unseres Körpers untersuchen - unsere genetische Ausstattung, unser Mikrobiom usw. Sie werden uns beraten und uns anregen, unser Verhalten zu ändern, einschließlich Ernährung, Bewegung und Schlaf. Sie werden digitale Zwillinge entwickeln, virtuelle Modelle von jedem von uns als individuelle und einzigartige Organismen.

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Der nahe und der ferne Horizont

Wie bei allen Diskussionen über die Auswirkungen der künstlichen Intelligenz ist es wichtig, bei den Zeitvorgaben realistisch zu bleiben. Wir stehen erst am Anfang unserer KI-Reise und sind noch weit davon entfernt, die Mechanismen des Alterns vollständig zu verstehen und aufzuhalten. Aber die KI macht exponentielle Fortschritte, und diese Art der Verbesserung kann über einen Zeitraum von ein oder zwei Jahrzehnten zu erstaunlichen Ergebnissen führen.

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In der Zwischenzeit bleiben die Gesundheitsratschläge für uns alle im Wesentlichen das, was unsere Großmütter uns gesagt haben. Tina Woods hat für ihr Buch "Live Longer With AI" 30 Wissenschafts- und Technologiepioniere befragt, und sie schreibt, dass deren Ratschläge konsistent und einfach sind - gut und ausgewogen essen, aber nicht zu viel. Regelmäßig Sport betreiben und ausreichend schlafen. Dafür sorgen, dass das Leben von einem Ziel geleitet und durch solide Freundschaften bereichert wird. Wer sich daran hält und jung genug ist, kann in der Tat ein sehr hohes Alter erreichen.